Teilweiser Steuererlass zufolge Corona-Pandemie
Sehr geehrter Herr Regierungspräsident
Sehr geehrte Damen und Herren
Mit der Zwangsschliessung von Geschäften und Restaurants sowie weiteren Einrichtungen mit Publikumszugang ab 17. März 2020 sind viele vom Lockdown direkt und indirekt betroffene Unter-nehmungen in Bedrängnis geraten. Viele Unternehmen waren unmittelbar von der behördlich ver-ordneten Schliessung betroffen, auch wenn ihre Aktivitäten nicht ausdrücklich in der Verordnung des Bundesrates genannt sind. Mit der teilweisen Öffnung dieser Betriebe hat sich die Situation leicht entschärft. Viele Branchen können aber nicht von einem Nachholeffekt profitieren. Ganz im Gegenteil: sie arbeiten derzeit kaum im profitablen Bereich. Die Verluste, die seit dem 17. März ein-gefahren werden, sind partiell sogar markant. Es ist unbestritten, dass trotz breiter Unterstützung des Staates derzeit zahlreiche Arbeitsplätze in Graubünden auf dem Spiel stehen.
Die Dachorganisationen der Wirtschaft Graubünden haben zusammen mit weiteren Verbänden schon im ersten Schreiben vom 23. März 2020 an den Volkswirtschaftsdirektor auf diese Situation hingewiesen und der Regierung vorgeschlagen, jene Unternehmen, die wegen der Auswirkungen der Pandemie in eine Notlage geraten, mit flankierenden eigenen kantonalen Massnahmen zu unterstützen. Neben verschiedenen Einzelmassnahmen und einer generellen Härtefallklausel ha-ben wir mit Bezug auf die Steuern u.a. folgenden Antrag unterbreitet:
«Bezüglich Reduktion der Steuern setzen wir auf eine gut durchdachte Lösung, die vom gel-tenden System abweicht. Bekanntlich werden die Steuern aufgrund der letztjährigen Ge-winne erhoben. Dieses Jahr gibt es bei sehr vielen Unternehmen Verluste, die mit den früheren Gewinnen verrechenbar sind. Es macht keinen Sinn, die Steuern aufgrund der letztjährigen Gewinne zu erheben im Wissen, dass diese später wegen der Verlustverrech-nung zu erstatten sind. Auch macht es keinen Sinn, Steuern zu erheben, gleichzeitig aber Unterstützung in Form von Liquiditätszuschüssen geben zu müssen.“
Wir haben absichtlich darauf verzichtet, einen konkreten Vorschlag zu unterbreiten, um den Fach-leuten nicht vorzugreifen. Nachdem mit Bezug auf diese Forderung eine Antwort ausblieb, haben wir auf informellem Weg auf die Lösung anderer Kantone hingewiesen, die entgegen der Empfeh-lung der Finanzdirektorenkonferenz und der eidg. Steuerverwaltung in der Steuererklärung 2019
Sonderrückstellungen wegen Corona zulassen. Konkret verlangten wir, dass von den Auswirkun-gen der Pandemie und vor allem den einschränkenden Massnahmen durch den Bundesrat direkt oder indirekt betroffene Unternehmen in der Jahresrechnung 2019 Rückstellungen in der Höhe von maximal 50 Prozent des effektiv ausgewiesenen steuerbaren Gewinns bilden können sollten. Diese Rückstellung sollte im Jahr 2019 pauschal und ohne detaillierten Nachweis zugelassen werden. In den folgenden Jahresrechnungen 2020 oder 2021 wären diese Rückstellungen zwingend erfolgs-wirksam aufzulösen gewesen.
Eine telefonische Anfrage ergab, dass auf unser Anliegen nicht eingetreten werde. Die Steuerver-waltung publizierte sodann auf ihrer Homepage am18.05.2020: „Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie waren 2019 nicht absehbar. Hinzu kommt, dass die Bildung einer Sonder-rückstellung im Jahresabschluss 2019 für das Anliegen der Liquiditätsschonung nicht zielführend ist. Die provisorischen Rechnungen 2019 sind überwiegend schon bezahlt. Wo dies noch nicht er-folgt ist, kann eine Stundung beantragt werden (vgl. Information vom 2. April 2020). Die Eidgenös-sische Steuerverwaltung sowie die Konferenz der kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirek-toren lehnen die Bildung einer Rückstellung ab. Der Kanton Graubünden lässt aus diesen Gründen keine Rückstellung wegen der Corona-Pandemie für den Geschäftsabschluss 2019 zu.»
Wir verkennen nicht, dass aus steuerlicher Sicht Rückstellungen und Wertberichtigungen zur Be-rücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid 19-Pandemie im Geschäftsjahr 2019 geschäftsmässig nicht begründet sind, auch wenn sie handelsrechtlich verbucht wurden. Verschie-dene Kantone, darunter TG, VS, AG und VS lassen diese Rückstellungen mit identischen Grundla-gen wie Graubünden aber dennoch zu und erlauben damit in einer Notlage und für eine zeitlich be-grenzte Periode die steuerliche Abzugsfähigkeit. In weiteren Kantonen sind parlamentarische Vor-stösse unterwegs, um den notleidenden Unternehmen diese Rückstellungen zu ermöglichen. Aller-dings nützen diesbezügliche positive Entscheide wenig, wenn sie – wenn überhaupt - erst im letz-ten Quartal des laufenden Jahres Wirkung zeigen. Wir verzichten deshalb darauf, diese Forderung aufrecht zu erhalten und belassen es bei der Feststellung: „Man könnte, wenn man wollte, aber Graubünden will nicht.“
Nicht verzichten wollen wir indessen auf die Forderung, jene Unternehmen steuerlich zu begünsti-gen, bei denen als Folge der Auswirkungen der Pandemie Arbeitsplätze gefährdet sind. Um eine - wie die Kantonale Steuerverwaltung sinngemäss verlangt – zielführendere und wirksamere Lösung zu erzielen, bietet sich der teilweise Steuererlass an. Unternehmen, die infolge der Corona-Pan-demie in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind und deren Arbeitsplätze gefährdet sind, wird ein vereinfachtes Erlassverfahren gewährt. Dieses Modell ist nach einer ausführli-chen politischen Debatte um die Vor- und Nachteile der Sonderrückstellung in diesen Tagen im Kanton St. Gallen mit Unterstützung der Regierung beschlossen worden. Das gewählte System ist einfach und in optima forma liquiditätsschonend. Mit dem festgelegten maximalen Steuererlass für Kantons- und Gemeindesteuern von 40 Prozent, höchstens Fr. 10'000.–, wird zweifellos wirksam geholfen. Profitieren können jene Steuerpflichtigen, deren geschuldeter Steuerbetrag nicht höher als Fr. 25'000.– ist. Das Verfahren erfolgt unbürokratisch, indem die Notlage nicht strikt (z.B. mittels Zwischenabschluss und zahlreichen Belegen) zu beweisen, sondern lediglich glaubhaft zu machen ist. Bei den Selbständigerwerbenden soll indessen einschränkend verhindert werden, dass Steuer-pflichtige, die ihren Lebensunterhalt überwiegend aus unselbständiger Erwerbstätigkeit verdienen und daneben noch eine geringfügige selbständige Nebenerwerbstätigkeit haben, ein Steuererlass gewährt wird. Da die Veranlagungen 2019 für juristische Personen und Selbständigerwerbende na-turgemäss zeitlich verzögert erfolgen, werden die Erlassgesuche in der Praxis auch erst später ge-stellt werden. Massgebend für den Entscheid werden – wie im Erlassrecht üblich – die wirtschaftli-chen Verhältnisse der Steuerpflichtigen im Zeitpunkt des Erlassentscheids sein. Insgesamt rechnet St. Gallen mit Steuerausfällen von 19 Mio. Franken (Kanton 9 Mio. Franken, Gemeinden 8 Mio. Franken und Kirchen 2 Mio. Franken). Wie in St. Gallen ist in Graubünden für das vereinfachte Er-lassverfahren keine Anpassung der Steuergesetzgebung nötig. Vielmehr genügt eine entspre-chende Anweisung der Regierung an die kantonale Steuerverwaltung. Steuerdogmatische Hinder-nisse stehen diesem Vorschlag nicht im Weg.
Aufgrund dieser Ausführungen beantragen wir, das St.Galler-Modell auf Bündner Verhältnisse an-zupassen. Wir laden die Regierung ein, im Rahmen des geltenden Gesetzesrechts ein vereinfach-tes Verfahren für den Steuererlass zugunsten von Unternehmen (juristische Personen und Selb-ständigerwerbende) vorzusehen, die infolge der Corona-Pandemie in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht und deren Arbeitsplätze gefährdet sind. Das vereinfachte Verfahren könnte wie folgt aus-gestaltet werden:
1. Unternehmen (juristische Personen und Selbständigerwerbende) kann auf Gesuch hin die Kantons- und Gemeindesteuer resp. Kultussteuer 2019 im Umfang von 40 Prozent, höchs-tens Fr. 10'000.–, erlassen werden. Selbständigen wird die Kantonssteuer nur erlassen, wenn die Gemeinde dem Erlass der Gemeindesteuer zustimmt.
2. Ausgeschlossen sind Selbständigerwerbende, bei denen in der Veranlagung 2019 der Steu-erbetrag aus Kantons- und Gemeindesteuern Fr. 25'000.– und juristische Personen, bei de-nen in der Veranlagung 2019 der Steuerbetrag aus Kantons-, FAG-Zuschlags- und Kultus-steuern einen adäquaten Betrag übersteigt.
3. Bei Selbständigerwerbenden ist vorausgesetzt, dass das Einkommen der oder des Steuer-pflichtigen nahezu vollständig aus selbständiger Erwerbstätigkeit stammt.
4. Die Notlage ist lediglich glaubhaft zu machen.
5. Bei Erlassgesuchen, die den Betrag nach Ziff. 1 übersteigen, gilt das vereinfachte Verfahren nicht.
Dieser teilweise Steuererlass wird nicht sämtliche Probleme der betroffenen Unternehmen lösen. Aber er ist ein weiterer Mosaikstein in der Unterstützung jener Unternehmen, die unverschuldet in eine äusserst schwierige Situation gelangt sind. Er überfordert die Staatskasse in keiner Art und Weise, ist unbürokratisch und schnell vollziehbar.