Corona-Pandemie: Lagebeurteilung aus KMU-Sicht in Graubünden
Sehr geehrter Herr Regierungsrat
Nochmals vielen Dank für die Einladung zum Runden Tisch und zur Bereitschaft, diese Zusammenkünfte zusammen mit anderen Verbänden wahrzunehmen. Gerne nutzen wir die Gelegenheit, um Ihnen für die offene, aktive und konstruktive Art der Zusammenarbeit mit uns in der Bewältigung der Corona-Krise zu danken. Die Regierung, Sie, Ihr Departement und die betroffenen Dienststellen in der kantonalen Verwaltung zeigen Leadership.
Namentlich bedanken wir uns für Ihren klaren Fokus auf die Bedürfnisse der KMU. Nach den Zahlen des Bundesamts für Statistik stellen KMU nicht nur etwa 66 Prozent aller Arbeitsplätze in der Schweiz. Sondern sie verantworten auch 60 Prozent der Wertschöpfung. Zudem sind die aktivsten und dynamischsten Firmen im Land Kleinunternehmen. Insbesondere in Graubünden ist die Volkswirtschaft auf die KMU angewiesen – KMU sind systemrelevant. Von mehr als 17'000 marktwirtschaftlich geführten Unternehmen in Graubünden haben lediglich 27 mehr als 250 Mitarbeiter (VZ ). Ohne KMU wird es der Schweiz und schon gar nicht Graubünden gelingen, die aktuelle Phase zu überstehen sowie aus einer Rezession zu kommen.
Die Dachorganisationen der Wirtschaft Graubünden haben Zugang zu praktisch allen KMU im Kanton. Aus diesen Kreisen sowie im Dialog mit unseren Schweizerischen Dachorganisationen und anderen kantonalen Gewerbeverbänden, Handelskammern und Hotellierverbänden nehmen wir viele Rückmeldungen zur Lage in den Kantonen entgegen. Unser Lob entspricht den Rückmeldungen dieser KMU auf eidgenössischer und kantonaler Ebene. Gleichwohl und gestützt auf diese Rückmeldungen stellen wir weiteren dringenden Handlungsbedarf in den folgenden Punkten fest, den wir in drei von vier Punkten bereits am Runden Tisch II angesprochen haben:
- Für direkt von der Schliessung betroffene Unternehmen hat der Bundesrat eine Entschädigung eingeführt. Einzelunternehmerinnen und Einzelunternehmer erhalten eine Entschädigung aus der EO im Umfang eines Tagsatzes von CHF 196 à 30 Tagen, d.h. total CHF 5`880. Inhaberinnen und Inhaber von Kapitalgesellschaften erhalten eine Entschädigung von CHF 3`320 im Monat. Das ist eine Ungleichbehandlung. Die Entschädigung der Unternehmerinnen
und Unternehmer muss unabhängig von der Rechtsform des Unternehmens erfolgen. Der Entscheid zur Rechtsform hat weder mit der Pandemie noch mit der bundesrätlichen Verordnung zu tun. Entsprechend kann er keine Ungleichbehandlung rechtfertigen. Wir bitten Sie deshalb beim Bundesrat Druck zu machen, damit allen Unternehmerinnen und Unternehmern, unabhängig der Rechtsform der Unternehmung, die Entschädigung gemäss Regelung EO ausgerichtet wird.
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Viele Unternehmen sind unmittelbar von der behördlich verordneten Schliessung betroffen, auch wenn ihre Aktivitäten nicht ausdrücklich in der Verordnung des Bundesrates genannt sind. Wir erläutern diese Feststellung anhand von einem Beispiel: Zahntechnikbetriebe haben keinen Publikumskontakt, doch sie arbeiten für Zahnärzte, die derzeit keine übliche Kundschaft behandeln dürfen. Damit sind sowohl Zahnarztpraxen als auch Zahntechnikbetriebe faktisch geschlossen. Die Selbständigerwerbenden dieser Betriebe werden aber nicht entschädigt. Es bestehen zahlreiche weitere Beispiele für eine Betroffenheit der Schliessung, ohne ausdrücklich in der Verordnung aufgeführt zu sein, etwa bei weiten Teilen der Tourismuswirtschaft, Industriewäschereien mit Gastro-Spezialisierung, Gesundheitsberufe, Informatikdienstleistungen (Support) und so weiter. Diese Aufzählung ist nicht abschliessend, zeigt aber die grosse Lücke im gewählten System. Wir bitten Sie deshalb, beim Bundesrat Druck zu machen, damit die Entschädigungslösung für Unternehmerinnen und Unternehmer auf den Kreis entlang Betroffener der gesamten Wertschöpfungskette ausgedehnt wird.
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In der zweiten Säule haben zwei sozialpartnerschaftlich getragene Institutionen gesetzliche Sonderaufgaben. Die Stiftung Auffangeinrichtung BVG hat im Bereich des Freizügigkeitskapitals einen Kontrahierungszwang, d.h. sie muss Verträge eingehen und kann keine Kundinnen und Kunden abweisen. Das führt dazu, dass die Stiftung gerade in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit und schlechterer Lage in den Kapitalmärkten einen stetigen Zuwachs von Kunden und von zu verwaltendem Vermögen hat. Für diesen Zuwachs gibt es derzeit keine attraktiven Anlagen. Eine übliche Versicherung kann der Situation entkommen, indem sie die Kundengelder ablehnt. Die Auffangeinrichtung kann – und soll – es nicht, schliesslich geht es darum, auch Niedrigverdienende aufzunehmen. Damit die Auffangeinrichtung diese Liquidität aufnehmen kann, sollte die Schweizerische Nationalbank der Auffangeinrichtung ein Konto ohne Negativzinsen einräumen. Ähnliches soll auch für den Sicherheitsfonds der 2. Säule gelten. Auch hier bitten wir Sie, beim Bundesrat entsprechend zu intervenieren.
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Der Bundesrat hat entschieden, den öffentlich zugänglichen Detailhandel zu schliessen. Nur noch notwendige Güter sollen verkauft werden können. Die Vorschrift ist klar, doch umgesetzt wird sie nicht. Es gibt viele Beispiele namentlich von Grossverteilern, auch in unserem Kanton, die immer noch ihr Gesamtsortiment dem Publikum zugänglich machen. Die Beobachtung wird auch seitens der "Konferenz kantonaler Volkswirtschaftsdirektoren (VDK)" geteilt. Das ist eine offensichtliche Verletzung der Regelung und führt zu einer massiven Wettbewerbsverzerrung zu Ungunsten der KMU, die schliessen mussten. Mit allem Nachdruck bestehen wir auf der Umsetzung der Vorschrift, so wie sie der Bundesrat beschlossen hatte. Der Vollzug ist Aufgabe des Kantons, der diesen an die Gemeinden delegiert hat.
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Ebenfalls Aufgabe des Kantons ist, sicherzustellen, dass die Verwaltungen in Kanton und Gemeinden weiterhin ihre Aufgaben erfüllen. Namentlich müssen alle Arbeiten, die der Wirtschaft erlauben oder ermöglichen, ihre Aktivitäten weiter auszuüben, garantiert sein. Am runden Tisch II haben Sie signalisiert, dass auch die Regierung diese Meinung vertritt, wofür wir Ihnen danken.
Sehr geehrter Herr Regierungsrat, diesen Handlungsbedarf sehen wir als imperativ und dringlich an. Er betrifft zur Hauptsache Massnahmen, die der Bund einleiten muss, bei denen Sie uns aber mit Ihrer Stimme in der Volkswirtschaftsdirektorenkonferenz stark unterstützen können. Der Handlungsbedarf ist aber – wie wir am Runden Tisch II und am Freitag in der Medienmitteilung erklärt haben – keineswegs eine Kritik an Ihrer Arbeit oder an der Arbeit des Bundesrates. Das Gegenteil ist der Fall. Für uns ist es wichtig, dass die bisherigen Bemühungen des Kantons und der Schweiz richtig funktionieren und von den KMU als Erfolg wahrgenommen und anerkannt werden. Entsprechend sehen wir den Handlungsbedarf als eine Weiterentwicklung eines wirksamen Krisenbewältigungsmodells.