Corona-Pandemie: Härtefälle und Konjunkturprogramm

Sehr geehrter Herr Regierungsrat 

Im Rahmen der letzten Besprechung am runden Tisch haben wir u.a. die Thematik Härtefälle und Konjunkturprogramm angesprochen. Wir konnten uns diesbezüglich auch bilateral ausspre-chen, wofür wir an dieser Stelle noch einmal danken. 

 

1. Behandlung von Härtefällen (Impulsprogramm Phase 2) 

Die Schweiz und damit auch der Kanton Graubünden werden durch die Bundesmassnahmen zur Eindämmung des Coronavirus stark gefordert. Gewisse Unternehmen mussten ihre Tätig-keit von einem auf den anderen Tag einstellen und sehen sich nun in ihrer Existenz bedroht. Zur Abfederung der massiven Einschränkungen beschloss die Bündner Regierung ergänzend zu den Bundesmassnahmen mehrere kantonal wirksame Massnahmen. Bisher verzichtet hat die Regierung auf die Errichtung eines speziellen Fonds für Härtefälle zum Beispiel für Einzel-unternehmen, Selbstständigerwerbende oder kleine Unternehmen, welche durch die Maschen der bereits existierenden Massnahmen fallen. Andere Kantone sind in dieser Thematik aktiv ge-worden und setzen ihre Lösungen bereits operativ um. Verschiedentlich wurde auch am runden Tisch über einen solchen Fond diskutiert und nach unserer Meinung gefragt. Wir empfehlen Ihnen, diesen Fond einzuführen, inklusive der Möglichkeit der Gewährung von à fonds perdu-Beiträgen, aber in der Umsetzung sehr restriktiv damit umzugehen. Dies aus den nachfolgenden Überlegungen: 

  • Durch den Entscheid des Bundesrats vom 16. April 2020 hat sich die Situation für Selbstständigerwerbende entschärft. 
  • Aus naheliegenden Gründen rufen solche Beiträge nach Ungerechtigkeiten, Giesskan-nensystem, Strukturerhaltung und dem Vorwurf nach Willkür. Sie schaffen in der Regel auch falsche Anreize. 
  • Für die Gewährung von à fond perdu-Beiträgen gibt es mit wenigen Ausnahmen keine objektiven Kriterien. Ausnahmen können u.a. saisonbedingte eklatante Ertrags- und Um-satzausfälle sein. So wenn in der fraglichen Zeit von Mitte März bis ca. Mitte Mai das massgebende Jahresergebnis erzielt werden muss, wie dies bei selbst produzierenden Gärtnereien, Modegeschäften und dergleichen der Fall sein kann. Diese Fälle können sehr einschneidend sein, sind aber im Kanton Graubünden relativ selten anzutreffen. 
  • Beiträge dürfen nicht flächendeckend, sondern in jedem Fall nur einzelfallweise, sub-sidiär, nicht zur Strukturerhaltung und nach Ausschöpfung und in Ergänzung zu den vom Bundesrat und der Regierung beschlossenen Massnahmen gesprochen werden. 
  • Gesuchsteller müssen glaubhaft nachweisen können, dass dank des gewährten Beitra-ges Betriebsschliessungen, Konkurse, Kündigungen oder weitere einschneidende nega-tive Folgen verhindert werden. 
  • Nachdem sich die Öffnung der behördlich geschlossenen Unternehmungen nach und nach abzeichnet, ist das Zeitfenster für rückwirkende Entschädigungen zu schliessen. Es stehen sehr viele zu lösende Hausaufgaben an, deren Meisterung ungleich an-spruchsvoller ist. 
  • Diese - zugegebenermassen harte und möglicherweise im Einzelfall ungerechtfertigte Haltung - ist mit Bezug auf die langfristige Wirkung unerlässlich. Graubünden gehört nicht zu den wirt-schaftlich stark entwickelten Kantonen und tut deshalb gut daran, die zur Verfügung stehenden Mittel bei der Bewältigung der Krise wohlüberlegt einzusetzen. 

2. Konjunktur- und Strukturprogramm (Impulsprogramme der Phase 3 und 4) 

Was die Umsetzung eines für die nächste Phase vorgesehenen Konjunkturprogrammes anbe-langt, haben wir unsere Meinung an der letzten Sitzung des runden Tischs erläutert. In der Zwi-schenzeit hat sich verdichtet, dass unsere Einwände weder gewünscht noch mehrheitsfähig sind. Wir konnten auch feststellen, dass verschiedene Entwicklungen, von denen wir meinten, sie würden am runden Tisch behandelt, ohne unser Wissen nicht nur angedacht, sondern be-reits zementiert waren. Für unsere Einwendungen hatten wir gute Gründe, sind aber der Auffas-sung, dass für die Stärkung des Tourismus rasche Entscheide nötig sind und Grabenkriege be-züglich Prozessorganisation keinen Platz haben. Die eingesetzte Projektorganisation für das Teilprojekt Tourismus unter der Leitung der ITG und Unterstützung des Wirtschaftsforums soll ohne Nebengeräusche wirken können. Diese wichtige Arbeit ist zeitverzugslos in Angriff zu neh-men. Als Dachorganisation wirken wir nicht mit und üben auf dieses Teilprojekt demzu-folge keinen Einfluss aus. Hotelleriesuisse Graubünden wird in diesem Projekt selbstver-ständlich die ihr zugedachte Rolle wahrnehmen. Für uns ist damit auch klar, dass die bran-chenübergreifende Gesamtkoordination beim Kanton liegt. Die konkreten vorgeschlagenen Massnahmen werden die Dachorganisationen der Wirtschaft im Bedarfsfall kommentieren. 

Es ist nachvollziehbar und richtig, dass sich das Interesse vieler betroffener Kreise in Graubün-den vor allem auf die Entwicklung des Tourismus und die Vorbereitung der kommenden Sai-sons bezieht. Leider handelt es sich beim erwähnten Teilprojekt nur um den Anfang und nicht das Ende der Fahnenstange. Für Kurzarbeitsentschädigung und zinslose Darlehen zur Über-brückung von Liquiditätsengpässen stehen im Moment wohl etwa 60 Milliarden Franken zur Verfügung. Der Bundesrat hat mehr oder weniger versprochen, der Wirtschaft während dem von ihm verfügten Stillstand das Überleben zu sichern. Trotzdem wird die Schweiz aller Voraus-sicht nach in eine tiefe Rezession abgleiten – abhängig von der Länge des Lockdowns in der Schweiz und in den wichtigsten Exportmärkten. Die Corona-Pandemie hat innerhalb kürzes-ter Zeit die wirtschaftlichen Aussichten der Schweiz und damit leider auch jene des Kan-tons Graubünden fundamental verändert. Was zu Beginn der aktuellen Situation noch als Konjunkturdelle befürchtet wurde, erweist sich nun wahrscheinlich als die grösste wirtschaftliche Rezession seit der Grossen Depression der 1930er Jahre. Die Corona-Rezession wird uns im Vergleich zu früheren ähnlichen Entwicklungen (z.B. Finanzkrise) nicht ganz so überraschend treffen, sondern mit einer kurzen Vorlaufzeit. Die derzeit auch in Graubünden noch florierenden Unternehmen aus der Industrie, dem nur indirekt vom Tourismus betroffenen Gewerbe und na-hezu allen Dienstleistungen, um nur die wichtigsten Zweige zu nennen, werden aller Voraus-sicht nach schon bald mit den Folgen der Rezession zu kämpfen haben. Mit anderen Worten: was wir schon jetzt im Tourismus erwarten können, wird mit einer zeitlichen Verzögerung auch die meisten anderen Branchen und damit unseren Kanton nachhaltig ganz erheb-lich treffen. Denn der Nachfrageeinbruch, welcher nach der Wiederaufnahme aller wirtschaftli-chen Aktivitäten droht, wird durch das Massnahmenpaket des Bundes nicht abgedeckt. Wohl bestehen schon jetzt in den Pipelines der politischen Parteien Rezepte, wie man dieser wider-wärtigen Entwicklung begegnen muss. Bei näherer Betrachtung sind sie jedoch im Ergebnis nicht viel mehr als modifizierte Parteiprogramme. Doch sie werden es kaum richten können. 

Graubünden wird es angesichts der verhältnismässig schwachen wirtschaftlichen und wert-schöpfungsarmen Struktur besonders schwer haben, aus diesem prognostizierten Loch heraus-zukommen. Ob der Bund angesichts seiner aktuellen Ausgabenpolitik massgebende Unterstüt-zung leisten kann, ist fraglich. Jedenfalls sollten wir nicht darauf hoffen. Auszugehen ist nach unserer Auffassung in jedem Fall, dass Graubünden seine wirtschafspolitische Agenda für die kommende Zeit anpassen muss. 

Unter diesen Gesichtspunkten werden sich die Dachorganisationen der Wirtschaft Graubünden in den nun einzuleitenden Konjunktur- und Strukturprogrammen mit den Massnahmen zur Abfe-derung der Rezession auseinandersetzen. Wir werden uns dabei auf die Themen ausserhalb der Tourismusbrache konzentrieren und mit der Regierung zusammenzuarbeiten, ähnlich wie die ITG dies jetzt schon in ihrem Teilprojekt für den Tourismus plant. Im Wissen, dass die mit Corona einhergehende Wirtschaftskrise das Steuersubstrat von juristischen und natürlichen Personen massiv sinken lässt, schwebt uns nicht ein Massnahmenpaket vor, das den Kanton «zig» Millionen kostet. Allerdings erwarten wir im Verhältnis zum Teilprojekt Tourismus eine analoge Unterstützung des Kantons von Know-how bei der Projektentwicklung mit dem Wirt-schaftsforum Graubünden und weiteren Spezialisten. Konkret schlagen wir vor, dass unter der Leitung des Kantons ein konstituierendes Treffen zwischen dem Amt für Wirtschaft, dem Wirtschaftsforum Graubünden, dem Bündner Gewerbeverband und der Handelskammer Graubünden organisiert wird, um eine erste Auslegeordnung vorzunehmen und eine Projektor-ganisation sowie ein Vorgehen zu skizzieren.