Änderung des Entsendegesetzes

Sehr geehrte Frau Maeder 
Sehr geehrte Damen und Herren

Für die Gelegenheit zur Stellungnahme bedanken wir uns. In Anlehnung an die Äusse­rung des Industrie-, Gewerbe- und Arbeitsamt Graubünden (KIGA) äussern wir uns zur Vorlage gerne wie folgt: 

1. Als erster Kanton hat Neuenburg einen kantonalen Mindestlohn eingeführt. Mittler­weile haben es ihm andere Kantone gleich getan so etwa die Kantone Tessin und Jura, wobei nicht alle Kantone gleich vorgegangen sind. So hat der Kanton Tessin die Mindestlöhne nur für Arbeitnehmende festgelegt, welche üblicher­weise im Kanton arbeiten. Dies hat zur Folge, dass der Mindestlohn für Entsand­te aus dem Ausland oder aus anderen Kantonen nicht anwendbar ist. Zudem finden sich Ausnahmeregelungen für gewisse Branchen oder Arbeitnehmerka­tegorien, so etwa ist der Tessiner Mindestlohn nicht auf die Landwirtschaft oder Praktikantinnen und Praktikanten anwendbar. Auch ist die Durchsetzung der kantonalen Vorschriften unterschiedlich ausgestaltet, teilweise bestehen gar keine Vorschriften dazu. 

Kantonale Mindestlöhne sind relativ neu, weshalb sie in der aktuellen Fassung des Entsendegesetzes noch nicht berücksichtigt sind. Mit der Revision soll die gesetzli­che Grundlage für die Durchsetzung von kantonalen Mindestlöhnen im Rahmen der flankierenden Massnahmen geschaffen werden. Obwohl Graubünden keinen kanto­nal festgelegten Mindestlohn kennt, betrachtet es die Regierung als folgerichtig, ei­ne Rechtsgrundlage dafür zu schaffen, dass kantonale Mindestlöhne auch im Rah­men des Vollzuges der flankierenden Massnahmen durchgesetzt werden können. 

2. Im Rahmen der vorliegenden Revision sollen das Entsendegesetz und das Schwarzarbeitsgesetz mit neuen Normen betreffend die Folgen der Nichterfüllung oder mangelhaften Erfüllung von Vollzugsaufgaben ergänzt werden. Der Vollzug der flankierenden Massnahmen wird in Art. 7 Abs. 5 und Art. 7a Abs. 3 des Entsendegesetzes (EntsG) geregelt. Der Bund übernimmt dabei 50% der Lohn­kosten der Arbeitsmarktinspektoren. Die Vollzugsaufgaben werden in Leistungsver­einbarungen festgelegt. Unter anderem schreibt der Bund die Anzahl der durchzu­führenden Kontrollen bei ausländischen Entsendebetrieben und einheimischen Be­trieben vor. Zudem wird vorgeschrieben, wie viele Kontrollen in den sogenannten Fokusbranchen durchzuführen sind. Die Gesamtzahl der in der Schweiz durchzuführenden Kontrollen wurde - wohl poli­tisch motiviert - von 27'000 auf 35'000 angehoben, was für den Kanton Graubünden eine Erhöhung der durchzuführenden Kontrollen von 420 auf 600 zur Folge hatte. Dazu wurde seinerzeit erklärt, die Erhöhung der Kontrollzahlen sei kontraproduktiv sei und es wäre sinnvoller, nicht an der Quantität, sondern an der Qualität der Kon­trollen zu arbeiten. Dies insbesondere in Branchen mit allgemeinverbindlich erklär­ten Gesamtarbeitsverträgen, bei welchen teilweise nach wie vor Verbesserungsbe­darf besteht. Auch sollte es im Rahmen eines effizienten und risikobasierten Vollzu­ges den Kantonen überlassen bleiben, in welchen Branchen wie intensiv kontrolliert wird. Leider blieben diese Vorschläge ungehört. Die bestehende Leistungsvereinba­rung ist ein Diktat, welches auch in Form einer Verfügung oder einer Verordnung auferlegt werden könnte. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der flankierenden Massnahmen in Art. 360b des Obligationenrechtes (OR), die gesetzliche Grundlage für die Einführung kantonaler tripartiter Kommissionen geschaffen hat. Mit der Einführung kantonaler tripartiter Kommissionen hatte der Gesetzgeber unzweifelhaft die Absicht, den föderalen Vollzug der flankierenden Massnahmen zu fördern und damit ein Gremium zu beauftragen, welches die kan­tonalen Verhältnisse weit besser kennt als die Bundesbehörden in Bern. Dieser Grundgedanke wird in vorliegendem Revisionsschlag völlig ausser Acht ge­lassen. Der zentralistische Ansatz der Vollzugssteuerung soll jetzt noch durch eine Sanktionsvorschrift zementiert werden, indem ungehorsame Vollzugsbehörden mit finanziellen Sanktionen belegt werden. Diese Vorschrift ist nicht nur völlig überflüs­sig, sie stört die Vertrauensbasis der föderalen Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen zutiefst. Es wird ignoriert, dass alle Kantone ein vitales Interesse daran haben, ihre Wirtschaft vor ausländischer Tieflohnkonkurrenz und damit die einhei­mischen Arbeitsplätze zu schützen. Ebenso gross ist das Interesse, Verstösse ge­gen Lohn- und Arbeitsbedingungen auf dem einheimischen Arbeitsmarkt zu vermei­den. Irgendwelche Instrumente, welche dazu dienen, die Kantone an die Kandare zu nehmen, sind vor diesem Hintergrund nicht nur überflüssig, sondern, wie er­wähnt, kontraproduktiv. 

3. Abschliessend sei noch darauf hingewiesen, dass der Vollzug der flankierenden Massnahmen in Branchen ohne allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträ­ge (ave GAV), welche von den tripartiten Kommissionen resp. den beauftragten kantonalen Behörden wahrgenommen wird, eine hohe Professionalität aufweist und kaum Probleme bietet. Eine entsprechende Beurteilung kann der Vollzug der flan­kierenden Massnahmen in Branchen mit ave GAV nicht in gleichem Mass für sich in Anspruch nehmen. Handlungsbedarf besteht daher nicht beim Vollzug durch die tri­partiten Kommissionen, sondern viel eher beim Vollzug durch die Paritätischen Kommissionen in Branchen mit ave GA V. Angesichts dieser Ausgangslage ist es umso unverständlicher, weshalb die vorerwähnten Sanktionsinstrumente auf die tri­partiten Kommissionen resp. die Kantone angesetzt werden.

Mit freundlichen Grüssen 

HANDELSKAMMER UND ARBEITGEBERVERBAND GRAUBÜNDEN

Dr. iur. M. Ettisberger